Wir brauchen die Akzeptanz der Infektionsschutzregeln in der Bevölkerung

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

ich habe in den vergangenen Tagen viele Zuschriften von Ihnen erhalten. Ich danke Ihnen sehr herzlich dafür und kann gut verstehen, wie Sie die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie zunehmend verunsichert.

Wir halten die Parlamentarische Beteiligung für absolut notwendig, um den kommenden Phasen der der Pandemie – denn das ist es, was wir gerade erleben - besser und vorausschauend begegnen zu können. Es stimmt: die auf dem Verordnungsweg erlassenen Maßnahmen greifen in die Grundrechte der Bürger:innen ein. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Maßnahmen sinkt sonst weiter und muss – unserem Selbstverständnis der demokratischen Verfassung entsprechend - in den öffentlichen Diskurs und in die parlamentarische Debatte.

Die Pandemie darf nicht zur gesellschaftlichen Zerreißprobe werden! Das erfordert auch Verzicht auf viele liebgewordene Gewohnheiten und sogar Bedürfnisse von uns allen, erfordert Rücksicht und Solidarität in jeder Stunde des Tages an allen Tagen der Woche. Und die sind in den letzten Monaten immer weniger geworden. Verantwortlich dafür sind auch die Erzählungen über die „Ungefährlichkeit“ die Erkrankung Covid 19, über angeblich gefälschte oder mindestens in falsche Zusammenhänge gestellte Zahlen zu schweren Verläufen und Todesfällen. Oder – noch schlimmer: dass sogar kolportiert wird, dass mit der „Angst“ das Volk gefügig gemacht werden soll. Vor allem deshalb, aber auch wegen ganz privater „Nachlässigkeiten“ stehen wir jetzt vor Fallzahlen, die für die harten Maßnahmen verantwortlich zeichnen.

Es ist in den vergangenen Monaten mit wenigen schweren Coronafällen nicht gelungen, weder Panikmache noch Verschwörungsmythen den Boden zu entziehen. Trotz sachlichen, verständlichen und faktenbasierten Informationen über die Erkrankung Covid-19 und das Virus SARS-CoV2. Der Umgang mit dem Virus konnte niemand vorher proben, kein/e Politiker:in der Welt hat ein Patentrezept in der Aktentasche. Aber auch kein/r der selbsternannten Expert:innen kann sagen, was das Richtige ist. Leider sind die Stimmen derer, die vermeintlich wissen, was das Beste ist, sehr laut – aber das Internet, Facebook und Co sind doch keine Corona- Experten.

Die Verantwortung der Politik ist hoch, noch höhere Erwartungen sind daran gebunden. In dieser Krise ist trotz der vielen Maßnahmen nicht wirklich klar, was wie wirkt, was wirklich notwendig ist und was nicht. In einer freien, demokratischen Gesellschaft sollte es so wenige Verbote geben wie nötig und möglich. Immer neue und andere senken die Bereitschaft deutlich, sich daran zu halten. Und gerade jetzt kommt es darauf an, dass die Politik alles dafür tut, dass wir als eine starke Gesellschaft aus dieser Zeit kommen. Es gibt keine Patentrezepte dafür, keinen Masterplan - aber es gibt das absolut wahrhaftige und Bemühen der Politiker:innen der demokratischen Parteien.

Eine nüchternere Corona-Politik, die den besten Argumenten folgt, ist schwer zu vermitteln in einer Zeit, in der sich wiederholende Appelle abnutzen. Wir als Abgeordnete/r haben eine Verantwortung für die Menschen in Thüringen. Deshalb muss die Macht von der Exekutive zurück ins Parlament, um das absolut notwendige besonnene Vorgehen und die Diskussion über Maßnahmen trotz des derzeitigen Zeitdrucks zu garantieren. Das wird am heutigen Dienstag in Thüringen passieren. Das Dilemma zwischen Freiheit und Gesundheit lösen wir damit nicht auf. Aber wir werden die Maßnahmen diskutieren. Dabei dürfen wir Wirtschaft und Gesundheit nicht gegeneinander ausspielen, Jung gegen Alt nicht und Krank gegen Gesund nicht.

Manche sagen: „Die Maßnahmen sind völlig willkürlich“. Andere sehen das anders. Deshalb brauchen wir die unterschiedlichen Meinungen und die Risikodiskurse. Letztendlich kann Diskussion in Ausnahmezuständen Gesellschaften widerstandsfähiger machen, weil die Kommunikation zum aktiven Mit-Tun und damit auf Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit abzielt. Auch deshalb danken wir Ihnen herzlich für Ihren Brief und Ihre Appelle an uns Politiker:innen, weil Ihre Ausführungen genau das sind: Einmischung, Aufforderung zum Austausch von Argumenten und Meinungen. Das schließt den Protest und das Misstrauen gegenüber den Maßnahmen nicht aus.

Aber bitte vertrauen Sie auch ein Stück weit auf die Handlungsfähigkeit, auf das Pflicht- und Verantwortungsgefühl der Menschen in der Politik. Ich möchte Ihnen kurz darstellen, welche Tatsachen meine persönliche Einschätzung der Lage als Politiker/in und mein damit verbundenes Handeln und meine Entscheidungen in den vergangenen Monaten bestimmt hat und in den kommenden Wochen bestimmen wird:

Wie viele Menschen sterben, hängt auch maßgeblich davon ab, wie sich das Virus in Risikogruppen, etwa ältere Menschen, verbreitet. Viele Kliniken können kurzfristig neue Intensivbetten zur Verfügung stellen und so ihre Kapazitäten notfalls ausbauen. Die Bettenkapazität ist ausbaufähig – aber es fehlt an Personal. Das lässt sich nicht backen. Das Verhalten der Menschen: wer nicht davon ausgeht, Träger:in vom Virus zu sein und sich nicht mal an die AHA- Maßnahmen hält, verbreitet es weiter. Resultat: Überlastung der Gesundheitsämter, Überlastung des Gesundheitssystems, mehr Fälle in den Risikogruppen, weitgreifendere Maßnahmen… Um diesen worst case nicht eintreten zu lassen: brauchen wir Geduld, Disziplin, Vernunft und statt viel Individualismus mehr Rücksicht und weniger Drama - und eine ganze Portion Zuversicht. Daran appelliere ich weiter – aber wir werden auch die jetzt verordneten Maßnahmen im Parlament auf den Prüfstein stellen. Heute und immer wieder in den kommenden Sitzungen, die nötig sein werden, um ohne durch ganz böse Blessuren durch die kommenden Wochen und Monate zu kommen.

Sie dürfen sicher sein: Wir nehmen Ihre Gedanken und Fragen ernst. Aber ich bitte auch Sie um Solidarität und Verständnis für die Entscheidungen, wir brauchen hilfsbereites und kooperatives Verhalten, wir brauchen aber auch geeignete Maßnahmen, um den weiteren Anstieg der Infektionszahlen zu bremsen. Wir müssen den jetzigen „LockDown light“ nutzen, um einen Weg planbaren und weitsichtigen Weg für Herbst und Winter zu finden. Ob das gelingt, hängt auch von der Akzeptanz der Maßnahmen ab, die nach Debatten und Diskussionen in Kraft gesetzt werden. Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um wenigstens die materiellen bzw. finanziellen Verluste der von den Maßnahmen und Schließungen Betroffenen abzufedern. Aber wir werden auch ausreichend erklären, warum wohl weitere schmerzliche Einschränkungen im Alltag erforderlich sind. Wir brauchen die Akzeptanz der Infektionsschutzregeln in der Bevölkerung – und wir bitten auch Sie um Verständnis dafür.

Herzlichen Dank!

Ihre Babett Pfefferlein



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